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Friedhofswalzer

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Ich wusste doch, dass hier was nicht stimmt.
Sie mochte es eigentlich nicht, wenn sie Recht hatte, denn das bedeutete normalerweise nichts Gutes. Vorsichtig ging sie weiter, immer darauf bedacht, leise und unauffällig zu sein. Auf dem Kiesweg vor ihr, hinter einer Biegung und einigen niedrigen Büschen, konnte sie deutlich den warmen Schein einer Kerze in der Dämmerung erkennen. Das war auf einem Friedhof nichts Ungewöhnliches, das wusste sie. Dass sich die Kerze allerdings bewegte, war mehr als bemerkenswert.
Sie war jetzt nahe genug, um zu erkennen, dass ein Mann die Kerze trug. Er hielt sie fast wie einen heiligen Gegenstand in den Händen und schritt langsam zwischen den alten, moosbewachsenen Grabsteinen entlang. Sein langer, dunkler Mantel streifte die Sockel, an denen vertrocknete Gestecke lehnten.
Er wurde langsamer und hielt an einem besonders alten Grab an. Mit einer altertümlichen Eleganz kniete er nieder und stellte die Kerze auf den Sockel des Steins. Sie beobachtete, wie der fremde Mann zu beten schien.
Er weiß, dass ich hier bin, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Sie wusste nicht, woher sie diese Gewissheit nahm, aber es erschreckte sie weniger, als sie erwartet hätte.
„Du kannst gern näher kommen“, sagte er mit leiser, sanfter Stimme und ohne aufzublicken. Nun erschrak sie doch, denn wenn er auch noch Gedanken lesen konnte, hatte sie ein Problem. Aber das war völlig unmöglich.
Es wirkte alles so seltsam, aber in seiner Stimme konnte sie keine Falle erkennen. Er bedeutete im Moment keine wirkliche Gefahr für sie.
Sie nickte, obwohl er es nicht sehen konnte, und kam vorsichtig zu ihm. Dann kniete sie neben ihm nieder und las die Namen auf dem Grabstein.
Beide kamen ihr sonderbar bekannt vor. Der Name des Mannes war alt; schien nicht recht in diese Zeit zu passen. Aber er war offenbar noch nicht lange begraben, wie frische Erde und Gestecke bewiesen. Der andere Name, der einer jung gestorbenen Frau gehörte, war lang und elegant, aber sie erinnerte sich vage an eine kürzere Form. Der Tod dieser Frau schien schon länger zurück zu liegen, aber ihr Zeitgefühl verschwamm, je länger etwas zurücklag.
„Es ist lange her“, bestätigte der Fremde neben ihr.
„Und trotzdem gedenken Sie der beiden. Darf ich fragen, was Sie mit ihnen verbindet?“ Es gelang ihr, einigermaßen taktvoll zu klingen. Doch statt einer Antwort wandte sich der Mann ihr zu und lächelte so schmerzhaft, dass es ihrem Herzen einen Stich versetzte. Sofort bereute sie die Frage, denn er musste die beiden geliebt haben. Vielleicht waren sie seine Eltern, oder Geschwister?
Sie erhob sich und wollte gerade gehen, als sie seine Stimme leise hinter sich vernahm: „Geh nicht.“ Sie konnte gegen ihren Willen spüren, wie ihr Herz einen Hüpfer machte. Da war ein Flehen in seinen Worten, ganz versteckt und kaum zu bemerken. Aber es erreichte sie, und es hatte den gewünschten Effekt: Sie blieb stehen und konnte kaum atmen, als er näher kam. Er nahm ihre Hand und verschränkte ihre Finger miteinander; eine so zärtliche Geste, dass winzige Schmetterlinge in ihrem Bauch umher flatterten. Der Aufruhr in ihrem Inneren wurde noch größer, als er den anderen Arm um ihre Taille legte und sie in einen langsamen, intensiven Tanz führte.
Die harten, traurigen Linien in seinem Gesicht glätteten sich, als er den Blick nicht von ihren Augen nahm, und sie spürte eine Vertrautheit. Sie kannte jedes Fältchen in diesem Gesicht, jede Strähne, die frech hineinragte, jeden Bartstoppel.
Sie nahm ihre Hand von seiner Schulter und strich ihm sanft über die Wange. Er schloss die Augen und kuschelte sich in ihre weiche Handfläche. Auch diese Geste war ihr so unendlich vertraut. Wer ist dieser Mann? Die Frage blieb allerdings nicht lang in ihrem Gedächtnis hängen, denn die Schmetterlinge brachten alles zum Verstummen außer dem Hier und Jetzt. Es gab nur diesen Tanz, nur diese vertraut-fremde Umarmung.
Und dann wurde ihr etwas klar: Er war kein Fremder. Sie kannte ihn. Kannte ihn gut.
„Ich habe dich so vermisst...“, flüsterte er. Sie konnte den Schmerz in seiner Stimme deutlich hören; mehr noch, sie spürte ihn.
Und plötzlich kehrten all die Erinnerungen zurück.
Ohne ein weiteres Wort umarmte und  küsste sie ihn.
„Endlich“, pflichtete sie ihm bei, atemlos zwischen zwei Küssen, „Willkommen auf der anderen Seite.“
A short story I wrote some time ago. It was merely a short draft while I was contemplating feelings, but it seemed to grow a life of its own...

The title is "Graveyard Waltz" in English, inspired by a song by The Hooters.
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